Geschmacksempfinden – wie unsere Zunge, ihre Anatomie und unsere Sinne uns Dinge schmecken lassen

... und warum höchstwahrscheinlich niemand auf der Welt eine Mahlzeit ganz genau so, zu 100% identisch, wie du selbst empfindet

Geschmacksempfinden - wie unsere Zunge, ihre An
Geschmacksempfinden - wie unsere Zunge, ihre An
INHALT
    Add a header to begin generating the table of contents

    Über unsere Zunge schmecken wir allerlei Sachen, die uns entweder gefallen oder die wir nach der ersten Erfahrung tunlichst vermeiden. Ein Mythos hält sich seit Jahren: Geschmackszonen, die sich auf der Zunge lokal eingrenzen lassen würden. Mittlerweile weiß die Medizin, dass sich die für den unterschiedlichen Geschmack verantwortlichen Geschmackszonen relativ gleichmäßig auf der Zunge verteilen – und durchaus viele Überschneidungen existieren. Aber wie kommt es dazu, dass wir etwas als süß oder sauer schmecken?

    Wie funktioniert unser Geschmackssinn?

    Um den Geschmackssinn näher zu erläutern, kommt man einem wichtigen Begriff nicht vorbei: „gustatorische Wahrnehmung“. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Lateinischen ab, wo „gustare“ so viel wie „kosten“ oder „schmecken“ bedeutet. Ganz wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine objektive, sondern eine subjektiv veranlagte Empfindung handelt – zumindest, was das persönliche Gefallen und die Intensität eines Geschmacks anbelangt. Aus diesem Grund können zwei Menschen auch völlig unterschiedliche Vorlieben haben, was ihre Lieblingsnahrungsmittel, favorisierten Rezepte oder sogar Getränke anbelangt.

    Anders als häufig angenommen, entsteht Geschmack aber nicht ausschließlich auf der Zunge. Da befinden sich zwar Geschmacksknospen (dazu gleich mehr), sie allein reichen aber nicht aus, um uns einen „Geschmack“ empfinden zu lassen – selbiger wird nämlich von verschiedenen Sinnen beeinflusst. In der Wissenschaft sind heute fünf Geschmacksrichtungen anerkannt:

    • süß
    • sauer
    • salzig
    • bitter
    • herzhaft-würzig

    Hast du bisher von „herzhaft-würzig“ noch nichts gehört, zumindest nicht in Verbindung mit Geschmacksknospen? Das ist nicht überraschend, denn längere Zeit waren es lediglich die ersten vier Geschmacksrichtungen, die mit der Reaktion der Geschmacksknospen assoziiert wurden. Tatsächlich wurde „herzhaft-würzig“ aber bereits 1909 vom Japaner Kukunae Ikeda definiert.

    Der Chemiker gab sich mit den Ausprägungen vom Süßen, Salzigen, Sauren und Bitteren nicht zufrieden, da er anhand eigener Erfahrungen davon überzeugt war, es müsse noch eine weitere Ausprägung geben. In der Folge definierte er Glutaminsäure als einen wesentlich Geschmacksträger, der uns herzhaft-würzige Speisen als solche kennzeichnet. Eine umfassende historische Abhandlung über Ikeda und seine Entdeckung findest du hier.

    Fettig ist (bisher) keine anerkannte Geschmacksrichtung!

    Seit Jahrzehnten gibt es zwischen (Geschmacks-)Forschern, Biologen, Chemikern und Co. Streit darüber, ob „fettig“ eine weitere, also die sechste, Geschmacksrichtung darstellt. Zum Zeitpunkt dieses Artikels ist „fettig“ von der Wissenschaft nicht als solche anerkannt, das könnte sich in Zukunft aber ändern.

    Der US-Wissenschaftler Richard Mattes hat die Diskussion nun neu entfacht, indem er in seiner eigenen Studie feststellte, dass ein Großteil der geprüften Probanden durchaus in der Lage war, „fettig“ als Geschmacksrichtung zu deuten und folglich „fettige“ Speisen klar definieren konnte.

    Den Geschmack, den wir dann letztlich empfinden, entsteht durch ein perfekt optimiertes Zusammenspiel dieser Sinne:

    • Geschmackssinn
    • Geruchssinn
    • Tastsinn
    • Temperatursinn

    Geschmack entsteht durch unsere Sinneseindrücke

    In der Geschichte des Menschen sind diese Sinne fest verankert. Früher dienten sie unseren Vorfahren dazu, potentielle giftige oder gefährliche Stoffe zu erkennen, sie also nicht zu essen. Heute wissen wir sehr gut, welche Nahrungsmittel verträglich sind und welche wir tunlichst meiden sollten. Trotzdem ist das Zusammenspiel unserer Sinnesorgane keinesfalls überflüssig geworden. Es hilft uns zu entscheiden, ob wir ein bestimmtes Gericht oder einzelne Lebensmittel als lecker und wertvoll empfinden oder ob wir diesen mit Abneigung entgegentreten.

    Wenn du dich einmal gefragt hast, warum du bei einer Erkältung weniger schmeckst, gibt dir das zugleich die Antwort darauf. Allein der Umstand, dass du eventuell nicht frei durch die Nase atmen und das Aroma wahrnehmen kannst, reicht schon aus, um die Geschmackswahrnehmung erheblich negativ zu beeinträchtigen.

    Zusammen mit unseren Sinnen, spielt in den Geschmack aber noch eine weitere Komponente ein: das zentrale Nervensystem! Der Ausdruck „Mir läuft das Wasser im Mund zusammen“ ist biologisch betrachtet absolut korrekt. Kommuniziert unser zentrales Nervensystem, gemeinsam mit den Sinnen, eine appetitliche Mahlzeit oder einen leckeren Geruch, produzieren wir vermehrt Speichel und Magensäfte.

    Das Gegenteil davon ist aber ebenso der Fall. Wenn wir Nahrung als abstoßend empfinden, kommuniziert das zentrale Nervensystem mitunter sogar einen Würgereiz, der uns erbrechen lässt. Das wiederum ist eine über Jahrtausende „antrainierte“ Maßnahme, die unsere Vorfahren vor lebensbedrohlichen Vergiftungen schützte. Die Evolution hat unserem Körper also ein Mittel mitgegeben, um uns zu warnen und unsere Körper vor solchen Stoffen zu wahren – und uns damit im Idealfall das Leben zu retten. Aus dem gleichen Grund reagieren wir auf verschiedene Tropen- und neurologische Erkrankungen ebenfalls mit einem Würgereiz. (Quelle: Fritz Broser: Topische und klinische Diagnostik neurologischer Krankheiten)

    Geschmacksverlauf: Wie gelangt Geschmack von der Zunge in unser Empfinden?

    Zum besseren Verständnis eines durchaus komplexen biologischen und chemischen Prozesses, möchten wir den Geschmacksverlauf schrittweise darstellen. Das funktioniert so:

    1. Wir essen Speisen, die auf die Zunge gelangen.
    2. Im Mund werden chemische Stoffe gelöst, die unter anderem im nächsten Abschnitt beschrieben werden. Sie treffen auf Nervenzellen.
    3. Die Nervenzellen reagieren darauf, genauer werden verschiedene Eiweiße in diesen verändert, wodurch die Nervenzellen wiederum Botenstoffe aussenden.
    4. Die Botenstoffe erreichen weitere Nervenzellen, es entsteht ein Dominoeffekt.
    5. Ständig weitergeleitet, erreichen die Botenstoffe das Gehirn, beziehungsweise das zentrale Nervensystem, wo sie dann als eine Empfindung verarbeitet werden – wir „schmecken“ den Geschmack nun also konkret.

    Welche Stoffe sind für unterschiedliche Geschmacksrichtungen verantwortlich?

    Wie wir nun wissen, werden die Signale von verschiedenen Sinnen sowie den Geschmacksknospen auf der Zunge aufgenommen und anschließend an das Gehirn weitergeleitet. Die Reaktion der Geschmacksknospen auf die unterschiedlichen Lebensmittel kommt natürlich nicht zufällig zustande. Tatsächlich sind es vorwiegend chemische Verbindungen, die bestimmte Signale auslösen, die wir dann als den „Geschmack“ wahrnehmen. Nachfolgend möchten wir dir darlegen, welche Grundqualitäten und -stoffe entscheidend für den Geschmack sind, den du letztlich beim Kauen wahrnimmst.

    Süß

    Zucker sowie Frucht- und Milchzucker lassen uns einen süßen Geschmack empfinden. Andere Stoffklassen können das ebenfalls, darunter diverse Eiweißbausteine und Aminosäuren, seltener sogar alkoholische Verbindungen.

    Sauer

    Sauer schmecken uns organische Säuren und saure Lösungen (Zitronensaft). Den Reiz dafür lösen Wasserstoffionen gepaart mit dem Speichel aus.

    Salzig

    Salzig schmecken Sachen, die mit Speisesalz angereichert werden – wenig überraschend. Aus einem chemischen Blickwinkel betrachtet, zeichnen sich dafür Chlorid und Natrium verantwortlich. Diverse Mineralsalze lösen ebenfalls eine „salzige“ Geschmacksempfindung aus, die ihren Namen daher keinesfalls zufällig trägt.

    Bitter

    Einen bitteren Geschmack erfahren wir gar nicht so oft – dabei gibt es viele verschiedene Stoffe, die diesen auslösen könnten. Darunter unter anderem 35 Eiweiße in unseren Sinneszellen, die auf Bitterstoffe reagieren. Der Umstand, dass wir Menschen Bitterstoffe so gut identifizieren und schmecken können, ist nicht verwunderlich. In der Evolution war das erforderlich, um potentiell giftige Pflanzen, die meist viele Bitterstoffe enthalten, sofort als solche zu erkennen.

    Herzhaft-würzig/Umami

    Asparagin- sowie Glutaminsäure lösen bei uns einen als herzhaft-würzig empfundenen Geschmack aus. Enthalten sind die Säuren primär in Eiweißen, seltener in Pflanzen. Typische Lebensmittel wären beispielsweise der Spargel oder reife Tomaten. Begründet wurde die fünfte Geschmacksrichtung in Japan, wo herzhaft-würzige Speisen, Gewürze und Brühen seit jeher Tradition haben.

    Scharf ist keine Geschmacksrichtung!

    Anders als häufig angenommen, ist „scharf“ keine Geschmacksrichtung. Wenn wir Menschen etwas als „scharf“ empfinden, dann liegt das daran, dass ein Schmerzsignal an die Nerven übertragen wird. Das kommt deshalb zustande, weil scharfe Speisen eine Heißwahrnehmung auf der Zunge, im Mundraum und Rachen auslösen, die unser Gehirn als Schmerz und Warnsignal verarbeitet.

    Geschmackspapillen – ohne sie gibt es keinen Geschmack

    Geschmackspapillen - ohne sie gibt es keinen G

    Geschmackspapillen beherbergen viele Geschmacksknospen, in denen Sinneszellen eingelagert sind. Die Geschmackspapillen kannst du dir als kleine Erhebungen auf der Zunge vorstellen, nicht unähnlich einer Warze. Durch diese Erhebung, vergrößert sich die tatsächliche Fläche der Zunge um ein Vielfaches, was dafür sorgt, dass wir Geschmacksrichtungen sehr konkret wahrnehmen. In der Medizin wird das umgangssprachlich als ein „Lupeneffekt“ der Zunge bezeichnet. Unterschieden wird, wie auch der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. schreibt, in drei verschiedene Typen von Geschmackspapillen.

    Pilzpapillen/Fungiform papilla

    Sie sind auf der Zunge am häufigsten anzutreffen. Anatomische Abweichungen sind denkbar, üblicherweise finden sich aber etwa 200 bis 400 solcher Erhebungen auf der Zunge – ganz speziell am Zungenrand und der -spitze. Deshalb sind es auch diese Zonen der Zunge, die besonders sensibel auf Geschmacksrichtungen reagieren. Eine Pilzpapille beherbergt ungefähr drei bis fünf Geschmacksknospen, außerdem besitzen sie Sinneszellen für den Temperatur- und Tastsinn.

    Wallpapillen/Circumvallate papilla

    Sie zeichnen sich durch ihre stattliche Größe aus und befinden sich vorwiegend im hinteren Fünftel der Zunge, nahe dem Rachen. Menschen haben nur rund 7 bis 12 Wallpapillen, dafür beherbergt jede davon eine vierstellige Anzahl von Geschmacksknospen. Besonders sind sie auch deshalb, weil sie aufgrund ihrer Form und Größe mit dem bloßen Auge erkennbar sind, wenn du tief genug in den Rachen schaust. Ihre Aufgabe ist es, Geschmacksstoffe zu den Sinneszellen weiterzuleiten.

    Blätterpapillen/Foliate papilla

    Sie befinden sich am hinteren Seitenrand der Zunge und sind ebenfalls gut ohne weitere Hilfsmittel erkennbar. Wir besitzen ungefähr 20 solcher Papillen, jede davon hat eine dreistellige Anzahl an Geschmacksknospen.

    Geschmacksknospen – das eigentliche „Highlight“ in den Papillen

    Wie du eben festgestellt hast, beherbergen die Geschmackspapillen die Geschmacksknospen. Diese darfst du als das eigentliche Geschmacksorgan verstehen, welches dafür sorgt, dass du eine bestimmte Geschmacksrichtung (oder mehrere zeitgleich) empfindest. In den Knospen befinden sich etwa 40 bis 60 Sinneszellen. Die Knospen bauen sich aus diesen Bestandteilen auf:

    • Mit Flüssigkeit gefüllter Trichter (Porus)
    • Fortsätze der Sinneszellen (Geschmacksstiftchen)
    • Zelloberflächen

    Erwachsene Menschen haben rund 2.000 bis 4.000 Geschmacksknospen. Damit das auch so bleibt, erneuern sich die Sinneszellen in diesen ungefähr aller sieben Tage. Ein Großteil der Knospen befindet sich auf der Zunge, aber auch im weiteren Mundraum wie Rachen und Kehldeckel sind sie vertreten, in geringer Anzahl sogar in der oberen Speiseröhre. Bei Kleinkindern und Säuglingen kommen Sinneszellen in den Wangen- und Lippenschleimhäuten dazu, die sich aber mit dem Alter verlieren.

    Fazit: Unser Geschmacksempfinden ist ein komplexes System – was teilweise immer noch Fragen aufwirft!

    Während die Wissenschaft von fünf „offiziellen“ Geschmacksrichtungen spricht, gibt es in der Realität viel mehr. Entscheidend für diese Gliederung ist der Umstand, dass die Sinneszellen primär auf diese fünf Grundqualitäten reagieren – ihre exakte Empfindung ist aber von Menschen zu Menschen unterschiedlich. Das ist auch der Grund dafür, warum manche Menschen Süßigkeiten als lecker und angenehm empfinden, während andere von einem „zu süßen“ Geschmack abgeneigt sind.

    Die Sinneszellen sind außerdem weder auf einen bestimmten Geschmack noch eine Untergliederung nach Wichtigkeit limitiert. Eine Zelle könnte süße Stoffe beispielsweise sehr stark wahrnehmen, eine weitere Zelle empfindet zwar auch süßen Geschmack, aber bittere Stoffe viel stärker. Die Kombination aus all den Geschmacksknospen und Sinneszellen resultiert schließlich in einem „ganzheitlichen Geschmacksprofil“.

    Wie vielfältig unser Geschmack ist, zeigt dann ein einfaches Beispiel: Bei den wissenschaftlich anerkannten fünf Grundqualitäten und zehn Intensitäten, würden in der Praxis 100.000 verschiedene Geschmacksrichtungen entstehen. Dazu kommen noch andere Sinne, beispielsweise der Temperatur- und Geruchssinn, die das Geschmackserlebnis ebenfalls beeinflussen.

    Das Ergebnis? Du kannst dir in der Praxis nahezu sicher sein, dass dein individuelles Geschmacksempfinden absolut einzigartig ist. Höchstwahrscheinlich empfindet niemand auf der Welt eine Mahlzeit ganz genau so, zu 100 % identisch, wie du selbst. Wir finden: Das ist eine beachtliche Leistung unseres Körpers, seiner Sinne, dem Nervensystem und der Evolution!